…und dann gibt es Tage…

05.02.2023
… da spürt man schon kurz nach dem aufstehen: das wird doch heut nix mehr. In diesem Moment sollte man wohl einfach alle Pläne für den Tag über Bord werfen und sich die Bettdecke über den Kopf ziehen. Oder man will's wissen, baut sich mit ein paar Power-Zitaten auf, sendet positive Gedanken ins Universum und bildet sich ein das Ruder nochmal rum reißen zu können.
Mit unspezifischem Grummel im Bauch besprechen wir kurz den Tag: wir müssen nach Road Town (Hauptstadt BVIs) um "kurz" zu proviantieren, Cash zu ziehen, Wasser zu bunkern und Prepaid Guthaben aufzustocken. Das an sich ist ja schon ziemlich unsexy. Danach wollen wir dann weiter gen Osten, was 4-5 Stunden gegen Wind und Welle bedeutet. Bei den Aussichten will ich schnellstmöglich los um alles schnellstmöglich hinter mir zu haben. Ich bin etwas genervt, weil es nicht los geht - Alex ist genervt, dass ich genervt bin und so weiter. Der Tag ist also im Prinzip schon zum Scheitern verurteilt. Nützt ja nix. Die Überfahrt nach Road Town ist von Spannungen und Wellen und Geschaukel geprägt. In der Bucht ankern wir sehr schaukelig, knapp hinter dem Kreuzfahrtdock, 100 Meter neben einem deutschen TUI Schiff. Am Dock erkennt man "ihn" dann auch gleich, "den" deutschen Tourist: käseweiß von der Sonnencreme, wahlweise Safari-Outfit oder neon Funktionskleidung, Brustbeutel... Scherz beiseite.

Zunächst gehen wir in den örtlichen Bootsladen, klar. Dort kann ich auch gleich mein Prepaid-Guthaben aufladen. Yippie, 2 Fliegen... nein doch nicht, es ist weniger Guthaben draufgebucht als bezahlt, also noch ein zusätzlicher Stop im Geschäft des Providers. Dann Geld holen. Der Automat fragt ob ich wirklich die lokale Währung haben will- "Vorgang abbrechen". Hm, gibt es neben US-Dollar noch eine lokale Währung, mit der nur niemand zahlt? Gibts hier auch den Eastern Caribbean Dollar? Noch nie gesehen, aber wer weiß.. Da noch nicht wieder online, versuchen wir es bei der nächsten Bank, die ohne Auswahl US Dollar ausspuckt. Für den Einkauf wechseln wir nochmal an einen anderen Dinghy Anleger, der näher zum Supermarkt ist- wir haben Großes vor. 1 Stunde später ächzt der Buggy unter dem Gewicht diverser Wasser- und Bierflaschen, Tetrapaks und 3 großer Einkaufsbeutel, entlang der ungepflasterten Straße. Da das Dinghy voll ist, fährt Alex den Einkauf allein zum Mutterschiff. Es ist schon spät und wir beschließen heut Nacht hier zu bleiben. Allerdings wollen wir uns nochmal umlegen, da wird grad sehr exponiert liegen. Mini und ich gehen derweil zum Kreuzfahrt Pier, weil es da keine Autos aber eine große Wiese zum toben gibt. Dort angekommen ist es verdächtig still im Buggy. Kind schläft. Mist. Alex kommt uns abholen, aber Mini murmelt tief und fest, keine Chance für ein friedliches Aufwecken. Da wir nicht im Dunkeln ankern wollen, beschließt Alex allein das Boot umzulegen und somit auch allein zu ankern- nicht ideal. Derweil laufe ich mit Mini die Bucht ab zum neuen Ankerspot- in der Zeit entleeren sich die Wolken zweimal kräftig, klar, wann sonst.

Wer jetzt denkt "ok, klingt doch nach einem normalen Dienstag, wat will se denn?", der schalte noch nicht ab.

Transfer geglückt, Alex kommt zum örtlichen Dinghy Dock, Mini lässt sich nun aufwecken und in die Rettungsweste schnüren. Die Welle peitscht uns ganz schön ans Dock. Um das Material zu schonen will ich mit einem großen Schritt ins Dinghy. Na, ahnt ihr es schon? In einem meisterlichen Slapstick Move stehe ich mit beiden Beinen auf dem seitlichen Schlauch, merke wie es mich nach hinten zieht, rudere noch mit Armen, habe aber gleichzeitig Angst das ganze Dinghy zu kentern zu bringen und klatsche schließlich rückwärts ins Wasser. Ich hatte vorher noch überlegt das Handy aus der Hosentasche zu nehmen... Merde! Als nasser Sack hieve ich mich zurück ins Dinghy. Kalt is mir, keine Sonne und viel Wind, ihhh. Schnell raus aus den Klamotten und das Handy in einen Beutel Reis. Alles halb so schlimm. Schlimmer ist dann das Geschaukel vor Anker, daher entscheiden wir uns noch in die gegenüberliegende Bucht vor Peter Island zu fahren und dort die Nacht zu verbringen. Zur Not nehmen wir eine Mooring (eine Boje, die an einem Betonklotz befestigt ist, meist von privat, kostet um die 30$ pro Nacht- es wird jemand kommen zum abkassieren). Zur blauen Stunde verlassen wir Road Town auf Tortola Island und kommen in Dunkelheit an der Bucht an. Um es einfach zu halten wollen wir an eine Boje gehen. Ich stelle mich mit dem Scheinwerfer an den Bug um nach einer Boje Ausschau zu halten, als plötzlich ein riesiges Schiffswrack direkt vor uns auftaucht. Schock. Grade noch rechtzeitig gesehen. Als ich das gruselige Geisterwrack ableuchte, wirkt es, als würde es sich bewegen, ahhhhh, nee, doch nicht. Oh Dunkelheit, du alter, fieser Schelm. Ich kann die erste Boje ausmachen und wir machen uns bereit. Fehlanzeige, hier ist kein Befestigungstau mehr dran. Also zur Nächsten- hier ist das Seil gerissen. Hm, nicht sehr vielversprechend. Also doch ankern. Wir fahren näher Richtung Ufer, da es noch zu tief ist um zu ankern. 3 Katamarane liegen in der Bucht und wir versuchen noch einen Platz zwischen ihnen zu finden. Entgegen der Seekarte wo 1 Meter Tiefe eingezeichnet ist, steht auf unserem Tiefenmesser 15 Meter- macht bei 5-facher Ketterlänge 75 Meter. Wir haben aber nur 60 Meter. Wir probieren ein Ankermanöver, holen den Anker aber wieder ein, als wir schon kurze Zeit später zu dicht ans Nachbarschiff kommen. Die Anspannung steigt. Ich kann den Faktor Dunkelheit (bei 20 Knoten pfeifendem Wind) gar nicht genug betonen. Wir versuchen es noch einmal, ein Stück weiter Richtung Ausgang der Bucht. Diesmal haben wir eine Stelle mit 8 Meter Tiefe gefunden. Top, der Anker hält. Ich schaue nochmal nach der Kette, die auf einmal nach hinten zieht. Alex sieht zeitgleich wie der Tiefenmesser auf einmal rückwärts zählt. Ein kurzer Scheinwerferstrahl Richtung Land bestätigt: es kommt näher. Jetzt aber schnell die Kette hoch.
Das schöne an den hier herrschenden Passatwinden ist, dass sie stetig aus einer Richtung kommen- so bleibt man normalerweise so liegen, wie man geankert hat, ohne zu weit zu schwoien (sich um den Anker zu drehen).
Irgendein lokales Phänomen oder vielleicht eine Strömung muss es hier geben. Scheiße. Und nu? Es ist spät und wir haben Hunger (um nicht die gruselige Dunkelheit zu vergessen) und so entschließen wir uns nochmal zurück nach Norman Island zu fahren und dort an eine Boje zu legen. Dort kennen wir die Verhältnisse. Eine Stunde später liegen wir sicher für die Nacht, gut dass das kreolische Chili schon fertig ist und nur noch aufgewärmt werden muss. Danke und gute Nacht.